Verunsicherung…

Hallo Herr Molter,

vielen Dank für ihren Leserbrief im heutigen Tageblat (11. Juni 2020). Ich kann ihren Unmut absolut verstehen. Aus eigenen Gesprächen wissen wir, dass es vielen Bürgern so geht wie ihnen. Selbst schlauen und gut informierten Nachbarn fällt es schwer, eine Entscheidung zu treffen. Leider sind offensichtlich auch einige Schenefelder Politiker mit der komplexen Problematik überfordert.

Wenn die Frage lauten würde: „Sollen öffentliche Einrichtungen von privaten Konzernen betrieben werden?“, wäre die Antwort für viele sicher einfacher. Aber genau um diese Frage geht es eigentlich.

Auch im Netzbetrieb werden die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert. Die E.on investiert viel zu wenig in unsere Leitungen, obwohl sie im Schnitt über 50 Jahre alt sind.

Dabei haben wir uns sehr gründlich mit dem Thema beschäftigt. Als Vorsitzender des Energieausschusses habe ich 2015 einen renommierten Anwalt der Kanzlei Becker-Büttner-Held eingeladen, der uns erklärt hat, wie Konzessionsverfahren ablaufen. Anschließend hatten wir die Geschäftsführer der Stadt- und Gemeindewerke Halstenbek, Quickborn, Wedel, Tornesch und Brunsbüttel zu Gast, die mit uns ihre Erfahrungen ausgetauscht haben. Alle haben uns empfohlen, ebenfalls Stadtwerke zu gründen. Die Sitzungen waren fast alle öffentlich. Natürlich ist die Gründung von Stadtwerken heute schwieriger als vor hundert Jahren. Deshalb haben wir sorgfältig abgewogen, welche Chancen und Risiken es gibt und wie man mögliche Risiken minimieren kann. Wir hatten auch die Schleswig-Holstein-Netz AG zu Gast, die uns angeboten hat, Aktien mit einer garantierten Dividende zu kaufen. Die SPD hat drei Veranstaltungen im Lustis zum Thema durchgeführt. Das Interesse der Bürger war allerdings eher mäßig.

Da immer noch nicht alle Parteien überzeugt waren, haben wir eine Machbarkeitsstudie beauftragt. Alle Fraktionen haben ihre kritischen Fragen formuliert, die in einem Fragen-Antworten-Katalog beantwortet wurden. Diese Studie kommt zu dem Schluss, das die Chancen die Risiken deutlich überwiegen und dass die Risiken sich beherrschen lassen. Professioneller kann man sich auf so ein Thema aus meiner Sicht nicht vorbereiten.

Leider haben viele der Gegner der Stadtwerke die Studie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden. Sie laufen blind Peter Venthien von der FDP hinterher, dessen Partei sich in dem ganzen Prozess gar nicht eingebracht hatte und der nur zwei Argumente hat:

  • Er behauptet, dass Stadtwerke mit dem Betrieb  von Netzen Verluste machen würden. Er hat als „Beweis“ die Jahresüberschüsse von 22 der ca. 40 Stadtwerke in Schleswig-Holstein aus dem Bundesanzeiger heraus gesucht, die 2017 zusammen einen Verlust von ca. 120.000€ gemacht haben und schließt daraus, dass sich Netze nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen. Diese Analyse haben wir selbstverständlich nachvollzogen. Wenn das stimmen würde, wäre die Gründung von Stadtwerken ja wirklich unvernünftig. Dabei haben wir festgestellt, dass
    • die 18 Stadtwerke, die er nicht untersucht hat, ca. 11 Millionen Euro Gewinn gemacht haben
    • der Verlust dadurch entstanden ist, dass die Regulierungsperioden der Bundesnetzagentur jeweils fünf Jahre dauern. Am Ende einer Periode, kann es tatsächlich passieren, dass Netzbetreiber mit den kalkulierten Kosten nicht mehr hinkommen. Diese können sie aber in der nächsten Periode geltend machen und bekommen das verlorene Geld zurück. Deshalb haben die selben Netzbetreiber 2018 wieder Gewinne gemacht.
  • Er führt Stadtwerke auf, die angeblich nicht funktionieren. Er behauptet, dass die neu gegründeten Stadtwerke in Dannenberg längst insolvent wären, wenn die Stadt nicht ständig die Verluste ausgleichen würde. Das ist allerdings komplett gelogen. Die Stadt hat seit der Gründung nicht einen Cent nachgeschossen. Die Stadtwerke haben zwar Anfangsverluste, liegen damit aber vollständig im Plan. Außerdem wird das Stadtwerk Aurich genannt, dass aufgelöst werden soll. Das Stadtwerk hat die Konzession nicht gewonnen. Das kann uns theoretisch zwar auch passieren, aber dann brauchen wir ja auch keine Millionen, um die Netze zu kaufen. Den meisten neu gegründeten Stadtwerken ist es gelungen, ihr Netz zu übernehmen. In Hamburg ist das 2014 passiert. Die Stromnetz Hamburg GmbH hat 2019 über 90 Millionen Euro Gewinn erzielt.

Mehr echte Argumente gegen Stadtwerke kenne ich nicht.

Ihre Forderung an die Politik, sich bei so einem wichtigen Thema auf eine Linie zu einigen, ist nachvollziehbar. Das hätte ich mir auch gewünscht. Ihr Schluss, deswegen erst einmal gegen Stadtwerke zu stimmen, ist allerdings nicht sinnvoll. Die Konzessionen laufen Ende 2021 aus und werden für 20 Jahre ausgeschrieben. Wenn wir die Stadtwerke jetzt wieder schließen müssen, bekommen wir die Chance, dem E.on-Konzern das Netz weg zu nehmen, erst in zwei Jahrzehnten wieder. Ich würde mir also von Ihnen ein klares „Nein“ wünschen. Wir können dazu gerne in den nächsten Tagen telefonieren.

Liebe Grüße

Jochen Ziehmann

0175 20 30 190

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